“Kauf dir einen Platz im Paradies”: Izzuddin Jakupovic und die Syrienhilfe

Vor wenigen Wochen kursierte innerhalb der deutschen Salafisten-Szene das Gerücht von der Festnahme des bosnischstämmigen Predigers Izzuddin Jakupovic „wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation“. Der in Nürnberg verhaftete Bosnier lieferte der Generalstaatsanwaltschaft München zufolge Fahrzeuge an jihadistische Gruppen in Syrien. Bereits im September 2014 wurde Jakupovic und sechs andere Verdächtige verhaftet, da unter Vorwand der humanitären Hilfe Unterstützungsleistungen an Rebellengruppen getätigt worden sein sollen. Tatsächlich trat Jakupovic seit 2013 als ein zentraler Akteur hinter entsprechenden Syrien-Benefizveranstaltungen umstrittener salafistischer Hilfsorganisationen wie „Helfen in Not“ und „Ansaar International“ in den Vordergrund. Dabei knüpfte er Kontakte zu Personen aus der ganzen Spannbreite der salafistischen Bewegung im deutschsprachigen Raum.

Das Netzwerk von Jakupovic zeigt exemplarisch die personellen Überschneidungen zwischen der Koran-Verteilaktion „Lies – Die wahre Religion“, den Hilfsorganisationen „Helfen in Not“ und „Ansaar International“, aber auch die Nähe zu Personen aus dem gewaltbereiten Spektrum der Szene; das heißt zu Personen, die sich jihadistischen Gruppen in Syrien anschlossen oder deren Aktivitäten als Rekrutierer und durch materielle und logistische Hilfsleistungen unterstützten. Viele Personen aus Jakupovics Netzwerk stammen wie er ursprünglich aus dem Balkan und suchen immer wieder den Kontakt zu dortigen Salafisten und Jihadisten. Mit dem Ausruf des Islamischen Staates offenbarten sich aber infolge der ideologischen Spaltung der Szene zugleich Streitigkeiten zwischen Jakupovic und ehemaligen Mitstreitern darüber, welche Rebellengruppe in Syrien unterstützenswert sind und welche nicht.

Jakupovic, das Prediger-Netzwerk und “Helfen in Not”

Über die Biografie Izzudin Jakupovics ist wenig bekannt. Er wurde 1983 im bosnischen Tuzla geboren und soll an der renommierten Kairoer al-Azhar-Universität studiert haben. Lange lebte er in Süddeutschland, zuerst im bayrischen Treuchtlingen und Pappenheim, dann in Ulm bis er irgendwann 2013/2014 nach Bonn-Tannenbusch zog. Der Ortsteil der ehemaligen Bundeshauptstadt gilt als einer der salafistischen Hotspots in Deutschland. Unter anderem lebten hier der 2010 in Afghanistan getötete deutsch-marokkanische al-Qaida-Kämpfer Bekkay Harrach und der Konvertit Marco G., dem momentan eine lebenslange Haftstrafe wegen eines missglückten Sprengstoffanschlags auf den Bonner Hauptbahnhof droht.

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Jakupovic (mit Ibrahim Abou-Nagie und Marcel Krass) auf Lies-Veranstaltung

Durch seine Dawa-Aktivitäten für “Dawa Bonn” und die Koranverteilaktion „Lies! – Die wahre Religion“ um Ibrahim Abou Nagie war Jakupovic eng mit dem lokalen und nationalen Netzwerk salafistischer Prediger verbunden. So nahm er zum Beispiel im Juni 2014 an einem Grillfest unter dem Motto „All 4 Ummah Grill“ in Tannenbusch teil. Zu den 200 Besuchern zählten auch Jakupovics Bekannte Pierre Vogel, Said el-Emrani (Abu Dujana), Brahim Belkaid (Abu Abdullah), Bernhard Falk und Sven Lau (Abu Adam). Neben Gemeinschaftsbildung (Jakupovic: “die Geschwisterliebe stärken”) diente die Veranstaltung dem Fundraising für die in Neuss ansässigen salafistische Hilfsorganisation „Helfen in Not“. Jene betreibt diverse Projekte in Burma, Bangladesh, Ghana, Afghanistan, Palästina, den Philippinen, aber vor allem in den syrischen Städten Idlib, Hama und Homs. Wie bei den meisten religiösen Hilfsorganisationen ist die ethische Motivation für das Spenden theologisch fundiert, denn man rettet sich vom „Höllenfeuer mit nur einer halben Dattel“ (Sven Lau) und „kauft sich einen Platz in Jannah [Paradies]“ (Abu Dujana).

Vogel, Dujana, Jakupovic, Lau, Krass
Pierre Vogel, Abu Dujana, Jakupovic, Sven Lau und Marcel Krass

Jedoch warnte bereits vor einigen Jahren der Verfassungsschutz vor den Aktivitäten von “Helfen in Not”. Aktivisten des Vereins wie der Kölner Sabri Ben Abda sollen in die Entführung von drei deutschen Mitarbeitern der Hilfsorganisation „Grünhelme“ in Syrien verwickelt gewesen sein. Zudem geriet „Helfen in Not“ immer wieder wegen angeblich als Hilfslieferungen getarnter Unterstützungsleistungen für terroristische Gruppen in Syrien in den Fokus deutscher Medien und Behörden. Neben Abu Dujana und Abu Abdullah, die zugleich die Lies-Aktivitäten im Raum Bonn und Köln koordinierten, engagierten sich auch der Gladbacher Konvertit Sven Lau und der irakisch-stämmige Prediger Abu Walaa (Ahmad Abdulaziz Abdullah Abdullah) aus Hildesheim für die Hilfsorganisation.

Helfen in Not_Köln-Bonn_03.10.2013
Syrien-Benefizveranstaltung von “Helfen in Not” am 03.10.2013 im Raum Köln/Bonn mit den Predigern Abdellatif Rouali, Abu Dujana, Izzuddin Jakupovic, Mirsad Omerovic, Pierre Vogel, Abu Abdullah und Abu Walaa

Hilfslieferungen aus Nordrhein-Westphalen und Niedersachsen

Abu Walaa trat insbesondere 2012 und 2013 oftmals mit Jakupovic, Abdellatif Rouali, Mirsad Omerovic (Ebu Tejma) und weiteren oben genannten Predigern auf Syrien-Benefizveranstaltungen in Köln, Bonn, Essen und Dortmund auf. Laut dem WDR-Journalisten Georg Heil soll der Kameruner Ahmed Fifen Youssef, ein enger Vertrauter des irakischen Predigers, gegenüber einem V-Mann geäußert haben, dass die Mitglieder des von Abu Walaa geleiteten „Deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim“ seit dessen Gründung 2012 mehr als zwei Millionen Euro an die syrischen Glaubensbrüder gesendet hätten. Dabei, so brüstete sich Fifen Youssef, hätte man auch Geld für den Islamischen Staat gesammelt. Gelder aus Hildesheim machten ebenso einen nicht unbedeutenden Anteil am Spendenaufkommen von „Helfen in Not“ aus. In den letzten Jahren fanden sich außerdem auffällig viele Krankenwagen mit Hildesheimer Kennzeichen unter den Hilfskonvois.

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Krankenwagen von “Helfen in Not” mit Hildesheimer Kennzeichen (Juli 2013)

Bereits ein Jahr vor Abu Walaa wurde Sven Lau verhaftet. Der enge Vertraute von Pierre Vogel war kein festes Mitglied von „Helfen in Not“, unterstützte aber die Organisation enorm. So besuchte er Hilfsprojekte in Burma und der Türkei. Mindestens zweimal war Sven Lau mit „Helfen in Not“ in Syrien. Einmal verteilte er im Juli 2013 Essenspakete und besuchte ein weiteres Mal im Oktober eine von dem Verein geführte Grundschule. Die Generalbundesanwaltschaft wirft Lau indessen vor, eine Anlaufstelle der in Syrien operierenden tschetschenischen Rebellengruppe Jaish al-Muhajireen wal-Ansar (JAMWA, „Armee der Auswanderer und Helfer“) für ausreisewillige Jihadisten aus Deutschland gewesen zu sein. So soll Lau unter anderem während einer von Pierre Vogel organisierten Pilgerfahrt im Sommer 2013 den Stuttgarter Ismail I., den in Neuss lebenden Zoubir L. und den Gladbacher Mohammad Sobhan A. rekrutiert und an die deutsche Einheit von JAMWA vermittelt haben. Die Einheit wurde von Konrad Schmitz (Mohammad al-Almani) und Mustafa C. (Abu Qatada) geführt, die ebenfalls dem Netzwerk um Lau in Mönchengladbach angehörten.

Lau besuchte seine Schützlinge auch mindestens zweimal persönlich im nordsyrischen Harithan, wo die deutsche Einheit stationiert war und JAMWA-Anführer Abu Umar al-Shishani eine imposante Villa bewohnte. Während einer dieser Besuche entstand wohlmöglich auch ein Foto, welches Lau mit einer Kalaschnikow zeigt. Unterdessen lieferte Lau angeblich bei seinem zweiten Besuch in Harithan im Oktober drei Nachtsichtgeräte an JAMWA. Da dies zur gleichen Zeit geschah als Lau mit „Helfen in Not“ durch Syrien tourte, ist es nicht verwunderlich, dass die deutschen Ermittler die Vermutung hegen, die Lieferung sei mittels eines Hilfskonvois der Organisation getätigt worden.

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Sven Lau in Syrien

Jakupovics Aktivitäten in Süddeutschland

Während Prediger wie Abu Dujana, Abu Abdullah und Sven Lau vorwiegend in Nordrhein-Westfalen und Abu Walaa in Niedersachsen Dawa betrieben und Gelder sammelten, trat Jakupovic trotz seines Umzugs nach Bonn und dortigen Auftritten insbesondere in Süddeutschland, aber ebenso in Österreich und der Schweiz in Erscheinung. Zentren seiner Tätigkeit bildeten dabei vor allem Nürnberg und Stuttgart. Bereits im November 2013 fragte Jakupovic im Nürnberger Islamischen Zentrum an, eine Lehrerlaubnis zu erhalten, was jedoch von den Verantwortlichen abgelehnt wurde. Jakupovic Predigertätigkeiten verlagerten sich in Nürnberg somit in Hinter- und Wohnzimmer. So trat er zum Beispiel im Dezember gleichen Jahres bei einem Islamseminar in einer Privatwohnung auf, an der auch ein Nürnberger Syrien-Rückkehrer teilnahm.

In Stuttgart galt Jakupovic als einer der Verantwortlichen des islamischen Kulturzentrums „Mesjid Sahabe“. Die Moschee fungierte als ein Treffpunkte radikaler Muslime aus Bosnien und ihrer Glaubensbrüder in der Diaspora. Zu den Gastpredigern gehörte unter anderem Bilal Bosnic, der von der bosnischen Salafisten-Enklave Gornja Maoca aus nicht nur das jihadistische Netzwerk in Bosnien kontrollierte, sondern vermutlich auch mehr als 200 Kämpfer aus Bosnien und Italien nach Syrien schickte. Zugleich verkehrte der an der Wiener Sahabe-Moschee tätige Prediger Muhamed P. – der ebenso zu den zentralen Personen im transnationalen Balkan-Netzwerk zählt – gelegentlich in Stuttgart.

An der “Mesjid Sahabe” fungierte Enes Causevic als Vorprediger. Laut Stuttgarter Nachrichten sind Mitglieder von Causevics Familie in Augsburg und Pforzheim als einflussreiche und radikale Islamisten bekannt. Sein Bruder Haris war 2010 für einen Autobombenanschlag vor einer Polizeistation im bosnischen Bugojno und einem anschließenden Schusswechsel mit Polizisten verantwortlich, wobei einer getötet und sechs verletzt wurden. Im Rahmen der Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Attentäter zu den Anhängern des ebenfalls an der Wiener Sahabe-Moschee tätigen und kürzlich verhafteten Nedzad Balkan gehörte. Im Januar 2015 wurde Haris Causevic für den Anschlag in zweiter Instanz zu 35 Jahren Haft verurteilt.

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Beschädigte Polizeistation in Bugojno nach Explosion einer Autobombe am 27.06.2010; Haris Causevic während Gerichtsverhandlung

Jakupovic wirkte im süddeutschen Raum nicht nur bei Veranstaltungen von „Helfen in Not“, sondern auch bei jenen von „Ansaar International“ mit. Die größte salafistische Hilfsorganisation Deutschlands betreut laut eigenen Angaben 72 Projekte in 31 Ländern. Dazu gehören auch ein Kranken- und Waisenhaus in dem von teils jihadistischen Rebellen kontrollierten Gebiet um Idlib und Aleppo. In letzter Zeit war Ansaar sehr bemüht, das Bild einer transparenten, seriösen und toleranten islamischen Hilfsorganisation zu vermitteln. Vor vier Jahren hingegen wurde eine Dokumentation über die Hilfskonvois nach Syrien noch mit dem Naschid „Wir sind ausgewandert“ von Denis Cuspert unterlegt. Mehrmals geriet die Organisation in die Schlagzeilen, unter anderem weil ein Ambulanzwagen von Ansaar in einem Konvoi des islamistischen Rebellenbündnisses Jaish al-Fatah gesichtet wurde.

2013 nahmen an einem Ansaar-Konvoi nach Syrien auch Aktivisten wie Sabri Ben Abda und der in Bergisch-Gladbach wohnende Mizra Tamoor Baig teil. Letzterem wird vorgeworfen, bei der Rekrutierung von deutschen Kämpfern – einschließlich seines eigenen Sohnes Jakub – und der finanziellen Unterstützung jihadistischer Gruppen mittels Einbrüche beteiligt gewesen zu sein. Abda und Baig sollen dabei Spenden an ihre Kontakte anstatt an syrische Zivilisten übergeben haben. Noch während der Reise distanzierte sich Ansaar von beiden, wohlmöglich auch aufgrund von Baigs Anstrengungen, deutsche Kämpfer zu rekrutieren (siehe dazu Erasmus Monitor). Dennoch fiel Ansaar immer wieder durch die Nähe zu radikaleren Kreisen und zweifelhafte Projekte auf wie im Juli 2015 als deutsche Medien berichteten, dass Spendengelder an ein Projekt in Gornja Maoca geflossen sind.

Im Fokus der Ermittler

Wegen ihrer Aktivitäten gerieten desgleichen Jakupovic und seine Helfer immer wieder in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Im September 2014 wurde Jakupovics Wohnung durchsucht und er sowie sechs weitere Verdächtige – fünf davon aus Nürnberg – vorläufig festgenommen. Die Behörden warfen den Männern vor, im August 2013 auf einer Benefizveranstaltung Geld für einen Krankentransporter gesammelt zu haben, der in Syrien zu einem Mannschaftswagen ausgebaut worden sein soll. Ferner hätten die Verdächtigen im November gleichen Jahres einen Geländewagen für den Islamischen Staat nach Syrien geliefert.

Auch die beiden Stuttgarter Brüder und Vertrauten von Sven Lau Ismail und Ezzedine I. wurden zusammen mit dem Gladbacher Mohamed Sobhane A. im November 2013 verhaftet. Anscheinend wurden sie nach Baden-Württemberg geschickt, um dort Ausrüstungsgegenstände für Rebellen in Syrien zu besorgen. Als sie festgenommen wurden befanden sie sich gerade mit einem Versorgungstransporter auf dem Weg nach München. Diesmal sollten sie Militärkleidung und Geld abholen. In der bayrischen Landeshauptstadt trat auch Jakupovic als Prediger auf und besaß Kontakte zur lokalen Szene. Das verdeutlicht ein Gruppenfoto mit Jakupovic, in welchem auch der Münchner Samir A. zu sehen ist, der im Mai 2015 zu 2,5 Jahre Haft verurteilt wurde, da er nach Syrien ausreisen wollte.

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Samir A. und Freunde mit Jakupovic (via BR)

Der Fall von Samir ist nicht der einzige Beleg, dass Jakupovic Kontakte zu ausreisewilligen Jihadisten pflegte. Jakupovic stand mit Führern der verbotenen Vereinigung „Millatu Ibrahim“ wie Denis Cuspert und Mohamed Mahmoud und deren Nachfolgeorganisation „Tauhid Germany“ um Hasan Keskin in Verbindung. Mit einigen dieser späteren IS-Kämpfer hielt er auch den Kontakt aufrecht als jene sich bereits im Gebiet des Islamischen Staats aufhielten. Neben dem Vorwurf der materiellen Unterstützung von terroristischen Gruppen in Syrien gibt es durchaus Anzeichen, dass darüber hinaus die von Jakupovic und anderen Predigern organisierten Wohltätigkeitsveranstaltungen als „Inkubator“ für die Radikalisierung jihadistischer Kämpfer aus dem deutschsprachigen Raum wirkten. So reisten mindestens sechs Besucher der Sahabe-Moschee in Stuttgart kurz nach einer von Jakupovic im Herbst 2013 organisierten Ansaar-Benefizveranstaltung über Bosnien nach Syrien. Unter jenen Männern war auch Elvis Hajric, der mit Jihadisten in Bosnien wie dem Bosnic-Vertrauten Emrah Fojnica verkehrte. Wie schon Sven Laus Anhänger schloss sich Hajric zuerst der tschetschenischen Rebellengruppe JAMWA an. Später starb er als ISIS-Kämpfer in Kobane.

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Elvis Hajric (hinten rechts) mit den bosnischen Kämpfern Ramo Pazara (hinten links) und Sejdin Omerdic (hinten mittig) 2014 in Syrien, alle drei starben in Kobane (Dank an Bruno Krmpotic für die Hinweise)

Verbindungen nach Österreich und in die Schweiz

Auf einer von Ansaar International organisierten Veranstaltung in Stuttgart trat auch der aus dem Sandzak stammende Wiener Prediger Mirsad Omerovic (Ebu Tejma) als Gastprediger auf. Mit Jakupovic zusammen warb er auf weiteren Veranstaltungen von Ansaar und „Helfen in Not“ in Nordrhein-Westphalen, Österreich und der Schweiz. Mirsad Omerovic, der beste Verbindungen nach Gornja Maoca, aber auch zu andere Jihadisten-Hotspots im Balkan wie dem serbischen Novi Pazar besaß, gehört zu den zentralen religiösen Autoritäten österreichischer Jihadisten, hatte aber auch wegen seiner Aktivitäten zuerst für „Lies“ und später für „Millatu Ibrahim“ einen bedeutenden Einfluss in Deutschland und der Schweiz.

Im letzten Jahr wurde Omerovic in Graz zu 20 Jahren Haft verurteilt, da er österreichische Kämpfer rekrutierte und deren Ausreise nach Syrien organisierte. Da er zugleich Unterstützer unter tschetschenischen Ausreisenden aus Österreich hatte, fanden sich vieler seiner Rekruten anfangs in den Reihen von JAMWA wieder. Omerovic stand nach Kenntnissen des Autors mit mindestens 27 österreichischen Jihad-Reisenden in direkten Kontakt. Die Staatsanwaltschaft Graz geht sogar davon aus, dass Omerovic 166 Kämpfer für Syrien rekrutierte. Jedoch nutzten auch Harry Sarfo und Adnan Sutkovic sowie weitere deutsche und Schweizer Jihadisten aus Bremen, Hamburg, München und Winterthur Omerovics Kontakte um sich dem Islamischen Staat anzuschließen.

Bis 2010 war Omerovic wie Muhamed P. und Nedzad Balkan an der Wiener Sahabe-Moschee tätig, wechselte dann aber aufgrund von Meinungsverschiedenheiten an die Altun-Alem-Moschee. Hier wurde im Oktober 2013 gleichfalls eine Syrien-Wohltätigkeitsevent von „Helfen in Not“ veranstaltet, an der Abu Dujana, Abu Abdullah, Omerovic und Jakupovic teilnahmen. Ein Monat zuvor wurde eine ähnliche Veranstaltung von dem süddeutschen Ansaar-Ableger in der Schweizer Kleinstadt Winterthur durchgeführt, welche von Jakupovic in einem Video beworben wurde und bei der Omerovic teilnehmen sollte.

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Mirsad Omerovic (Ebu Tejma) auf einer Ansaar-Benefizveranstaltung

Wie bereits in Stuttgart vermuteten deutsche Ermittler, dass das Event wohlmöglich zu der Motivation einiger Besucher wie der Teenagerin Sarah O. beitrug, nach Syrien auszureisen. Sarah und ihre Familie lebte in Konstanz nahe der Schweizer Grenze, ihr Vater arbeitete jedoch in der Schweiz und hatte Verbindungen zum salafistischen Islamischen Zentralrat in der Schweiz (IZRS). Sarah radikalisierte sich innerhalb eines Jahres und setzte sich im Oktober 2013 allein via Stuttgart nach Syrien ab, wo sie den Kölner ISIS-Kämpfer und ehemaliges Millatu-Ibrahim-Mitglied Ismail S. heiratete.

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Syrien-Benefizveranstaltung von Ansaar International in Winterthur am 28.09.2013 mit Mirsad Omerovic, Ibrahim Abou-Nagie und Izzuddin Jakupovic

Es ist sicherlich kein Zufall, dass man ausgerechnet Winterthur als Veranstaltungsort in der Schweiz wählte. Seit einigen Jahren hat sich dort um eine Gruppe Lies-Aktivisten an der An’Nur-Moschee ein radikales Netzwerk gebildet. Viele dessen Mitglieder schlossen sich später dem Islamischen Staat an. Schlüsselrollen in der Winterthurer Gruppe übernahmen Sandro V. (der auch Wurzeln im Sandzak haben soll) und der kosovo-albanische ehemalige Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi. In Winterthur betrieb Gashi nach seinem Umzug von Singen in die Schweiz das islamische Kampfsportzentrum „MMA Sunna“, in dem sich einige Ausreisende aus der Deutschschweiz physisch auf den Jihad vorbereiteten. Selbst der kampfsportbegeisterte Mirsad Omerovic gab die Ehre, Gashis Studio zu besuchen. Dieser und Sandro V. standen generell in einem guten Verhältnis mit Omerovic und es gibt einige Indizien, dass Gashi und andere Winterthurer mit Hilfe des Wiener Balkan-Netzwerkes nach Syrien gelangten. In einem Interview mit dem deutschen Männermagazin GQ kurz vor seinem Tod 2015, räumte Gashi selbst ein, dass es ohne seine Schweizer und Österreichischen Kontakte nicht möglich gewesen wäre, sich dem IS anzuschließen.

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Valdet Gashi: vom Thaibox-Champion zum IS-Kämpfer

Ein enger Vertrauter Gashis in der Schweiz war der am Bodensee in Arbon lebende Türke Alperen A. Beide trainierten zusammen in Gashis Studio und hatten einen nicht unbedeutenden Anteil am Aufbau von Lies in der Schweiz. Laut dem Schweizer Journalisten Kurt Pelda galten sie zugleich als Koordinatoren des Schweizer Ablegers von „Helfen in Not“. Alperen A., der wie die meisten Schweizer Lies-Aktivisten gute Kontakte zu Sabri Ben Abda hatte, lieferte mindestens in einem Fall selbst einen Krankenwagen für „Helfen in Not“ von der deutschen Grenzstadt Lörrach nahe Basel nach Syrien.

Anfang 2015 reiste Alperen dann entgültig nach Syrien aus, eventuell gemeinsam mit Gashi. Jedoch schloss sich Alperen der Nusra-Front an. Kämpfer der Freien Syrischen Armee beschuldigten Alperen später hinter einem Selbstmordanschlag im Namen der Terrororganisation im März 2015 nahe Idlib gestanden zu haben, bei dem 28 Menschen starben. Zuvor gelang es Alperen, seine schwangere Frau Guilia W. nach Syrien zu locken. Die Deutsche konvertierte 2013 im Rahmen der Koranverteilaktion von Lies zum Islam und besuchte daraufhin die „Masjid Sahabe“ in Stuttgart, in der sie Alperen heiratete. Während es Giulia gelang mit ihrem neugeborenen Kind nach Deutschland zurückzukehren, ist Alperen im Juli 2015 in Syrien gestorben.

Ideologische Grabenkämpfe: Wer bekommt das Geld?

Die Spaltung der jihadistischen Szene im deutschsprachigen Raum ging auch nicht an Jakupovics persönlichem Netzwerk vorbei. Im ideologischen Streit zwischen Anhängern des Islamischen Staats und al-Qaida-nahen Gruppen positionierte sich der Bosnier offenbar auf der Seite letzterer. Die jüngste Festnahme geschah aufgrund angeblicher Unterstützungsleistungen für „Junud al-Sham“. Tatsächlich postete er auf seinem Twitter-Account im August 2014 Propaganda der in Syrien kämpfenden tschetschenischen Rebellen-Gruppe, der sich zuerst auch viele deutsche Kämpfer des Millatu-Ibrahim-Netzwerks aus Berlin, Bonn und Frankfurt anschlossen (siehe Guido Steinberg).

Jakupovic bekundete öffentlich Sympathien für zentrale al-Qaida-Führungsfiguren wie Abu Qatada al-Filistini und Abu Muhammad al-Maqdisi, der sich auch kritisch gegenüber dem Islamischen Staat äußerte. Jakupovic selbst bezog wiederholt in seinen Predigten eine recht eindeutige Position. Im Mai 2014 – also kurz vor dem Ausruf des Kalifats – hielt er einen Vortrag mit dem Titel „Wem soll man die Bayah geben?“. In diesem argumentierte er, dass der Treueschwur auf ISIS nur dann zwingend wäre, wenn deren Kalifat durch den Konsens der islamischen Gemeinschaft („Ummah“) legitimiert ist. Jedoch bewirken die Bemühungen von ISIS und anderer Gruppen, von den muslimischen Kämpfern einen Treueschwur zu erzwingen, lediglich „Fitnah“ (Spaltung) innerhalb der Ummah zu stiften. In Bezug auf den Absolutheitsanspruch von ISIS bemerkte er, dass Meinungsverschiedenheiten zulässig sind solange man sich im Hass auf die „Kuffar“ (Ungläubigen) einig ist. Interessanterweise verlautbarte Jakupovic anderthalb Jahre später als der Konflikt zwischen dem Islamischen Staat und der Nusra-Front weiter eskalierte, dass die Einigkeit der „Ummah“ nicht um jeden Preis zu erlangen sei.

Deutsche IS-Unterstützter warfen Jakupovic wiederum wegen seiner Kritik „Batil“ (Falschheit) sowie eine falsche „Aqidah“ (sinnhaft: Überzeugung/Glauben) und „Manhaj“ (Lehre) vor. Dafür wurde er öffentlich mit anderen deutschen Predigern wie Pierre Vogel, Bernhard Falk oder Abu Dujana angefeindet und bedroht. Im September 2015 veröffentliche das inoffizielle IS-Sprachrohr in Deutschland “Niwelt” (“Nachrichten aus der islamischen Welt”) einen Aufruf an jene IS-kritischen Prediger, eine den Islamischen Staat glorifizierende Unterrichtsreihe von Mohamed Mahmoud theologisch  zu widerlegen und “darüber nachzudenken, mit wem sie auf einer Seite stehen”.

Aufruf an deutsche Prediger
Aufforderung von Niwelt u.a. an Abu Dujana, Pierre Vogel, Muhamed Ciftci, Abul Baraa, Bernhard Falk und Izzuddin Jakupovic (September 2015)

Die Spaltung der deutschsprachigen Jihadisten blieb nicht ohne Konsequenzen für die Arbeit salafistischer Hilfsorganisationen, mit deren Hilfe nach allem Anschein nach Geld und Material aus Deutschland an radikale Rebellengruppen gelangten. Es stellte sich dabei jedoch zunehmend die Frage, welche konkreten Gruppen man in Syrien unterstützt und bei welchen man davon absieht. Beispielweise berichtete der Spiegel, dass im Februar 2014 neun Krankenwagen mit einem Konvoi von „Helfen in Not“ an ISIS und die Nusra-Front geliefert werden sollten, dann aber wegen Streitigkeiten letztendlich bei Ahrar asch-Scham landeten.

In einem anderen Fall hörten die österreichischen Ermittlungsbehörden im Oktober 2014 ein äußerst interessantes Gespräch zwischen Mirsad Omerovic und seinem „Lieblingsschüler“ Hamza D. ab, der mit seinem Lehrer ebenfalls gelegentlich auf den Benefizveranstaltungen als Rezitierender von Koran-Suren auftrat.  In diesem bezeichnete der Wiener Prediger Jakupovic als „Bosnischen Dicken“ und „Trottel“. Ein Vertrauter Omerovics drohte, Jakupovic zuhause besuchen zu gehen. Die Wut gegenüber den Bonner rührte daher, dass Omerovic und seine Anhänger Jakupovic 20,000 Euro in Wien übergaben, die für den Islamischen Staat bestimmt waren. Das Geld kam dort jedoch nie an, sondern wurde an eine andere Gruppe namens Jaish Mohammed weitergeleitet. Konfrontiert mit diesem Vorwurf sagte Omerovic in seinem Prozess widersprühlich aus, dass Jakupovic damit beauftragt gewesen wäre, die auf Benefizveranstaltungen gesammelten 20,000 Euro an die Verantwortlichen bei „Helfen in Not“ und „Ansaar International“ zu überreichen.

Die Staatsanwaltschaft Graz hingegen ging (vermutlich fälschlicherweise) davon aus, dass das Geld an eine Jihadisten-Gruppe in Kashmir floss. Es gibt jedoch keine Anzeichen, dass Jakupovic Verbindungen nach Pakistan oder Indien hatte noch findet der dortige Konflikt bei deutschen Jihadisten groß Beachtung. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass es sich hierbei um eine gleichnamige in Syrien kämpfende tschetschenische Rebellengruppe handelt, aus der im März 2013 JAMWA hervorging. Dafür spricht nicht nur, dass viele Glaubensbrüder von Jakupovic für JAMWA kämpften oder gute Kontakte zu der Gruppe pflegten, sondern auch, dass JAMWA sich bereits Ende 2013 wieder spaltete, da sich ein großer Teil seiner Kämpfer unter der Führung von Abu Umar al-Shishani ISIS anschlossen. Ungeachtet der Streitigkeiten solidarisierte sich Jakupovic trotzdem mit Omerovic als dieser im vorletzten Jahr verhaftet wurde. Anscheinend ist sein Hass auf die „Kuffar“, die nun seinen ehemaligen Freund anklagten, doch noch größer als die ideologischen Gräben zwischen dem Prediger und alten Mitstreitern.

 

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